Brief an Alfred Mombert, 18.10.1894, Frankfurt am Main / Seite 2
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weiter nichts als Ihnen etwas Liebes sagen. Ich habe Sie auch nicht
für jünger gehalten, als Sie sind. Sie kommen sich mit Ihren „22‟
wol schon schrecklich alt vor? Umso jünger werden Sie sich
fühlen, wenn Sie auch erst 30 sind. Und dann werden Sie
mein Beichtbuch „Aber die Liebe‟ wahrscheinlich — hoffentlich —
nicht mehr als ein Werk empfinden, in dem sich Mensch und
Künstler in dichterischer Harmonie darstellen. Nein, mein Bru‑
derherz: sonst würde nicht auch Ihnen so Manches unverständlich
drin geblieben sein. Aber guten Mutes bin ich endlich geworden,
und zum Beweise dessen schicke ich Ihnen das beiliegende Gedicht,
das
über
die Verwandlungen der Venus ein etwas helleres Licht werfen
soll. Nur: fassen Sie die letzte Zeile nicht zu melancholisch
auf! —
Ich sitze übrigens hierorts ebenfalls in einer Thätigkeit,
die mich melancholisch machen würde, wenn sie nicht mit Schluß
des Jahres zu Ende ginge. Ich war bis jetzt Beamter; dann werde
ich phantasirender Rentier. Und wenn Sie mich im Frühjahr
noch in Pankow treffen wollen, dann müssen Sie vor 1. April
kommen. Dann nämlich will ich mich noch tiefer in meine märki‑
schen Wälder und Sümpfe vergraben.
Gestern habe ich Thoma Ihr Buch gebracht und den ganzen Abend
draus vorlesen müssen. Sie Glücklicher: Sie bezaubern Jung und
Alt! Er wird Ihnen wol nächstens seinen Dank schreiben. Von
Arno Holz haben Sie inzwischen vielleicht schon einen Freudenbrief
erhalten; er war so bedingungslos entzückt, wie ich diesem spröden
und verbitterten Menschen lange nicht gesehen habe. Ein wenig fühlte
er sich wol gehoben, weil er in Ihren Gedichten eine Einwirkung seiner
Technik verspürte. Er wohnt übrigens: Berlin W. Gravelobterstr. 41.
Und Schlaf: Magdeburg, Annastr. 10. Aber Sie brauchen den Beiden keine
besonderen Exemplare zu schicken; ich werde ihnen von denen geben, die sie mir
gestern schickten. Unserem alten Liliencron haben Sie wol schon direkt eins zugesandt.
Wenn nicht, so wohnt er: Altona (Elbe) Palmaille 5.
Bitte, schicken Sie mir das Gedicht nach Pankow zurück. Ihr Richard Dehmel.