Brief an Julie Wolfthorn, Datum unbekannt, Hamburg-Blankenese / Seite 1

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Liebe Julia !
Ich freue mich immer über die Kühnheit Ihrer Pläne; so ingeniös
bin ich schon lange nicht mehr.Aber in diesem Fall haben Sie sicher nicht
recht nachgedacht,denn selbstverständlich ist doch der Direktor der Staatli-
chen Kunsthalle der Berater des Staates bei dessen Kunst-Ankäufen. Also Pauli
Und wenn auch die Ankäufe des Staates von anderem Gesichtspunkt aus gemacht
werden, als die der Kunsthalle, so fehlen doch hier zwei Voraussetzungen:
erstens kauft der Staat augenblicklich nur von Hamburger Künstlern,und zwei-
tens ist das Dehmelzimmer noch garnicht Eigentum des Staates geworden.Vor
läufig ist nur das Archiv angekauft; ich weiss, dass der Direktor der Staats-
bibliothek das Zimmer kaufen möchte, sobald er die Mittel dafür hat. Sollte
das einmal der Fall sein,so nehme ich doch an, dass das Zimmer nach meinem Tod
dort in der Bibliothek genau so aufgebaut wird, wie es hier steht,und auch
dann wäre für mein Bild umsoweniger Platz, als nicht einmal ein Bild Dehmels
in seinem Zimmer hängt. Immer wieder tut es mir
leid
, dass kein Bild von ihm exi-
stiert, das mir genügt. Ein junger Hamburger Bildhauer, der übrigens eben nach
Berlin
übersiedelt ist, Paul Hamann,hat noch 1919 eine Büste von Dehmel ge-
macht und sie nachträglich ins Ueberlebensgrosse stilisiert.Ich habe sie viel-
leicht zu kurz nach Dehmels Tod gesehen; mich hat sie damals abgestossen;aber
Vera
hielt mir gestern einen längeren Vortrag,dass sie sie gut findet. Es
scheint,dass der Staat sie ankaufen will. Ich war damals so entsetzt,dass ich
sie am liebsten zerschlagen hätte. Vielleicht treffen Sie Hamann einmal; er
hat eine entzückende Frau. Sie hat ohne jede Vorschulung nach ihrer Heirat an-
gefangen zu malen und ihre Bilder interessieren mich sehr. Sie wäre auch ein
interessantes Modell. Man kann sie hässlich finden, wenn man vulgäre Masstäbe

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