Brief an Stefan Zweig, 5.5.1902, Ort unbekannt / Seite 1
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Sehr geehrter Herr Zweig
Sie haben vollkommen Recht, daß meine Uebertragun-
gen zumteil nicht sinngetreu sind, und ich verüble es
Ihnen nicht im mindesten, wenn Sie für Ihren Zweck
genauere vorziehen. Mir kam es auch eigentlich nicht
darauf an, die Originale zu reproducieren; ich wollte
mir nur die Grundstimmungen vom Halse schaffen, die mich
ähnlich verfolgten wie eigene Phantasiegebilde, und so
entstanden diese Mischlinge aus ungefährer Erinnerung
und selbstthätiger Ergänzung. Grade den Schluß des „Bon
Chevalier‟ möchte ich aber nicht ändern, weil ich da
— nicht blos nach meiner Meinung, sondern auch nach dem
Urteil französischer Kenner — Verlaine am bildlicher
wie geistiger wie fühlender Kraft übertroffen habe.
Es ist nicht zu verkennen, daß in der zweiten Hälfte des
Gedichtes das wundervolle Sinnbild etwas ins
Phrasenhafte verschwimmt, als habe der Dichter nicht