Brief an Konrad Ansorge, 24.9.1899, Ort unbekannt / Seite 1

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Lieber Conrad!
möge uns Allen im Leben nichts Schlimmmes
passieren! Wir, d. h. Ich und Sie, sitzen zwar
eklig auf dem Pfroppen aber der Pfroppen ist sehr
schön. Das Tiroler Hochwasser (Du hast wohl
in den Zeitungen davon gelesen) hat uns
nämlich nach der Schweiz hin verschlagen,
mit unn naum wir auf´m Spetzgart bei,
Ueberlingen am Bodensee (Großherzogt. Baden)
dicht an der Grenze. Das ist ein altes Berghaus
aus dem 13. Jahrhundert, 1749 von den
Augustinermönchen umgebaut, mit wunder-
voller Fernsicht über den ganzen See und die
die Turgauer Alpen hinein. Überall an den
Decken der größeren Zimmer, den Thürsimsen
und den geschnitzten Treppengeländern, ist das
Wahrzeichen des frommen Ordens eingelegt: ein
flammendeschen oder von zwei Pfeilen durchbohrtes
Herz. In diesem Sinne grüßen wir euch. Wir
haben auch ein altes Klavier von einer so fabelhaften
Resonanz, daß es gleich anfängt zu räsoniren,
wenn man modernes Zeug darauf spielen will;
höchstens Beethoven läßt es sich noch gefallen,
eigentlich aber nur Bach und Choräle, und
ohne Pedal.

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