Brief an Richard Dehmel, 20.10.1894, Heidelberg / Seite 7

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so schwerfällig wie möglich in seiner Entwicklung vorführt.
Diese schreckliche, modern-conventionelle (Klinger, Thoma, Böcklin
& Nachfolger), blutlose Allegorie! Warum nicht wie einst
unter dem Eindruck des reellen Lebens dichten?
Nervöse Abspannung. Man will — & kan̄ nicht. Diese
Chöre: Eselsbrücken: Notbehelfe für mangelnde Darstellungs-
kraft: an Drähten gezogene Marionetten. Dieses Selbst-
anreden der Figuren, dieses Auf-sie-Deuten, mit Etiketten-
sie-Bekleben — ist das künstlerisch-visionär geschaut
oder nicht vielmehr erdacht-gemacht?—
Der Gedanke: von dumpfer beherrschender Liebe zum
freien farbigen hellenischen Leben in Lust und Leid, liebelos in
Schönheit—: der Gedanke ist so doch wohl nicht so neu-
mystisch-dunkel, um eine derartige Fassung rechtfertigen
zu können.
Noch eine Bitte: Nehmen Sie einmal das Gedicht
als Wirklichkeit, nicht als Traum. Das verändert allerdings
viel & widerstrebt Ihrem in̄ersten Wesen. Aber versuchen Sie
es einmal: auszuruhen in Ihrem Werke. Nicht im Leben.
Denn sonst kön̄ten Sie es nicht in der Kunst. Versuchen Sie
einmal, vollendet zu sein. Erfüllung zu sein; nicht Sehnsucht.

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