Brief an Alice Bensheimer, 19.4.1907, Ort unbekannt / Seite 4
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steht die Erziehung ihrer 5 Kinder, 1 Mädel von 16, eins
von 18 und Söhne von 14, 19, 20 Jahren. Ich weiß von
der Mutter Dehmel, daß die Kinder in ihrer Jugend Rüpels
waren, also die Eltern ließen ihnen die Zügel locker
aber jetzt sind sie einfach musterhaft. Der Älteste
wird Segelschiffingenieur, er hat ganz allein tischhohe Schiffe
gebaut, die auf jeder Ausstellung einen Preis bekämen,
der 2te studiert in München Jus. Der Jüngste ist der
Einzige von ihnen, der auch schon als Schüler hervorragend
ist, immer Primus, guter Geiger, u. ein lieb Bübchen.
Der Jusstudent hat in Bückeburg einen Turnverein gegrün-
det in dem er einen ganz akademisch korrekten Ton einge-
führt hat u. erstaunliche Leistungen erreicht haben soll.
Das Alles aber ist nicht das Wesentliche, sondern die ganze
Art, wie diese reichen Kinder
dem Leben gegenüber stehn, wie es ihnen selbst-
verständlich ist, daß von ihnen Leistungen erwartet
werden etc.— Beim Servieren flog dem Mädchen
eine Saucière aus der Hand, dem Ältesten direkt auf
den Kopf, ergoß sich ganz über ihn u. bespritzte einen
älteren Freund des Jussohnen von oben bis unten.
Das gab mir rechte Gelegenheit Alle zu beobachten, die
Begossnen nahmen es scherzhaft, die Andern halfen und
trösteten, keiner dachte daran dem Mädchen einen Vor-
wurf zu machen. Stell Dir vor dasselbe wäre z.B. bei
Wolffensteins passiert! Da hätten sich einfach Alle
gegenseitig andisputiert!