Brief an Alice Bensheimer, 1.2.1915, Ort unbekannt / Seite 1
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Sehr Liebe! In Berlin muß aber der Teufel Be-
rater sein! Frl Schumacher und ich haben keine
Einladungen bekommen, ebensowenig Frl. Dr
Asch, unsre beste nationalökonomische Rednerin,
dagegen ist eingeladen Frau Dr Vidal, Vors. der
abstinenten Frauengruppe hier, sonst nichts,
ferner Frl. Jonas, die jüngste, unbedarfteste Helfe-
rin auf dem Bureau u. eine Kochlehrerin, die
keine Vorträge hält. Ich habe so rasend hier
zu tun, daß ich fast froh bin, hierbleiben zu kön-
nen, aber ich verstehe nicht, daß G.B. nicht ein-
sieht, daß eine von uns Beiden der Correspon-
denz wegen hin . So hab ich bis heut noch
keine Antwort von ihr bekommen können, ob
wir angenommene Artikel honorieren können,
u. wie hoch. Ich hätte sie 100 Dinge zu fragen gehabt.
Donnerstag sprach ich zum ersten Mal in einem
Mütterabend, vor den Müttern von 4 Volksschulen.
Es war . Ein so unerwarteter Erfolg,
daß ich erklärt habe, Spezialistin in Mütterabenden
werden zu wollen. Ich bekam nachher noch alle
möglichen schriftlichen Fragen von den Frauen,
die so rührend vertrauensvoll sind, daß der
Frauenauschuß sie sich abschreiben ließ.
Ach Liebe, wenn Du ahntest, was sich heute
auf mich zugewälzt hat! Neulich abends telepho-
nierte es einmal aus Berlin, wann ich zu
sprechen sei. Ich war nicht daheim, meine Mädchen
verstanden nicht, Wer fragte.
Als ich heute nach Haus kam, saß da ein
alter Freund des Herrn A. und wartete auf mich.