Brief an Alice Bensheimer, 24.5.1930, Bad Eilsen / Seite 4
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ein weißes Abendmantel, der vollkommen
wie ein Nachthemd wirkte (ich fand ihn scheußlich.)
Sie hat sich hier im Haus ein Zimmer gemietet
in das sie sich mit dem Verband legt etc. u.
ich gehe oft mit ihr hinein. Ihre Jungfer, ein abso-
lut gebildetes Mädchen, liest ihr da vor, wenn
ich mitkomme, geht sie hinaus. Gestern erzählte
G. mir folgendes: Der Prof. Wilhelm hatte ein
chinesisches Orakel, irgend wie gezeichnete Steine,
die man werfen mußte. Am nächsten Tag habe er
sie gefragt, ob sie gedacht habe dabei.
Da hätte sie ihm erwidert: ich kann doch gar
nicht an mich allein denken. Jeder Gedanke an
mich ist doch zugleich ein Gedanke an Gerhardt. Darauf
habe er ihr erklärt, sie hätte absolut den Charakter
u. das Schicksal ihres Mannes geworfen, eines
produktiven Menschen etc. Es sei kein Atom von
ihr drin. Sie fügte hinzu: ich bin auch tatsächlich kein
Einzelmensch mehr, ich bin ein Teil meines Mannes
geworden.— Ich merkte das schon am Abend.